Ein Beitrag von Jens Karraß in der Märkischen Zeitung vom 23.06.2023.
Neuruppin. Die ehrenamtlichen Sterbebegleiter vom ambulanten Hospizdienst des Ruppiner Hospizes unterstützen andere Menschen in ihren letzten Momenten. Anlässlich der Brandenburgischen Hospizwoche konnten Besucher am Mittwoch beim Aktionstag eine Menge über die Arbeit des ambulanten Hospizdienstes Neuruppin (AHD) erfahren. Im Rahmen des Aktionstages auf dem Neuruppiner Schulplatz erzählte eine Mitarbeiterin vom täglichen Leben mit dem Tod.
„Wir sind für die Seele da“
Die ehrenamtlichen Sterbebegleiter vom ambulanten Hospizdienst unterstützen andere Menschen in
ihren letzten Momenten. Eine Mitarbeiterin erzählt vom täglichen Leben mit dem Tod.
Thalia-Emma ist fünf Jahre alt und malt einen Trauerstein bunt an. Stunden zuvor ist ihr Hund Odin gestorben. Eine französische Bulldogge. „Er war noch so klein. Dann ist er gestern umgekippt, da war es voll warm“, erzählt sie offenherzig. Auf die Frage, wo sie denn gehört habe, dass sie für Odin einen Stein bemalen könne, antwortet sie: „Von Mama. Als sie vom Tierarzt gekommen sind, haben sie geweint“. „Willst du noch einen bemalen?“, fragt Marion Herrmann, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Ruppiner Hospiz e.V., der zum Aktionstag in Neuruppin eingeladen hat. Thalia will. Und nebenbei ist Zeit, eine Menge über die Arbeit des ambulanten Hospizdienstes Neuruppin (AHD) zu erfahren. Der Ruppiner Hospiz wurde 1999 gegründet, die Idee des ambulanten ehrenamtlichen Hospizdienstes wird seit 2002 mit einjährigen Vorbereitungskursen umgesetzt. Das stationäre Hospiz „Wegwarte“ wurde 2004 mit damals acht Plätzen eröffnet, mittlerweile sind es zwölf. Im Obergeschoss des Gebäudes befinden sich die Büroräume des AHD.
Eigener Zugang zum Thema
Die Entscheidung, ehrenamtlich in einem ambulanten Hospizdienst mitzuarbeiten, resultiert meist aus persönlichen Erfahrungen. Oft sind es eher traurige Erlebnisse, aber nicht selten sind es Kinder, die den ersten Kontakt zu dieser Tätigkeit oder überhaupt zum Thema Hospiz haben und einen ganz eigenen Zugang zum Thema Sterben und Tod entwickeln. Marion Herrmann ist seit 20 Jahren im ambulanten Hospizdienst tätig.
„Meine Ausbildung habe ich 2003 gemacht, da gab es ‚Haus Wegwarte‘ noch nicht“, sagt sie. „Sie dauerte ein Jahr und fand samstags einmal im Monat statt und ich wurde ehrenamtliche Sterbebegleiterin“. Auch sie kam über Kinder zum Thema: Sie war damals Englisch- und Tanzlehrerin in einigen Kindergärten und wurde eines Tages von einer Mutter ihrer Schüler gefragt, ob sie mit ihren „Tanzmäusen“ einmal beim Sommerfest im Hospiz auftreten könne. „Das war das Hospiz auf dem Krankenhausgelände, ein altes Backsteingebäude. Da wurden die Patienten im Bett mit der Infusion in den Garten geschoben. Und meine Tanzmäuse, die hat das nicht gejuckt. Warum die Glatzen hatten. Warum die Betten im Garten standen. Die haben da einfach getanzt, die Kinder hatten gar keine Berührungsängste“, blickt sie auf den Auslöser zurück. Ihr wurde klar: Wenn die Kinder das können, dann kann sie das auch. So wurde sie Teilnehmerin im zweiten Ausbildungsjahr. Ziel der Ausbildung ist es, für schwerkranke Menschen und ihre Angehörigen da zu sein, wenn sie es wünschen, und ihnen den Verbleib in ihrer vertrauten Umgebung zu ermöglichen. Die einjährige Ausbildung umfasst ein Kurskonzept mit Themen- und Lerneinheiten sowie Praktika in Hospizen, Alten- und Pflegeheimen.
Für Marion Herrmann begann die praktische Ausbildung sehr schnell. Denn in ihrem Kurs war auch die Pflegedienstleiterin einer Einrichtung, die anbot, dass jeder, der üben wolle, dies in ihrer Einrichtung tun könne. Aus dem Üben mit ihrer ersten Patientin wurde ihre erste Begleitung. Obwohl die Patientin zu Beginn sehr krank war, dauerte die Begleitung drei Jahre. Ihre Kinder wohnten zu weit weg, um sie regelmäßig besuchen zu können. „Also bin ich jeden Mittwoch hingefahren. Ich war in den drei Jahren kein einziges Mal krank. Jeden Mittwoch habe ich meine Hedwig besucht“, erzählt Marion Herrmann. Die Sterbebegleiterin erzählt ihre Erlebnisse so, dass das Ende, der Tod, weder als schrecklich noch als sensationell beschrieben wird. In Marion Herrmann steckt eine Leichtigkeit, eine Frische und Lebensfreude, die man bei jemandem, der ständig damit zu tun hat, nicht vermuten würde. Welche Person beschäftigt sich freiwillig ständig mit dem Thema Tod?
„Ich habe dann schon mit ihren Kindern Briefe geschrieben. Und wenn ich mittwochs hereinkam, hat die Hedwig schon gerufen ‚Du hast Post. Du hast Post‘.
Die war natürlich für sie“, erzählt Marion lächelnd. Sie schrieb ihrer Tochter, was sie mit Hedwig unternommen hatte, und nahm sie auch mit nach Hause zu ihrer Familie. „Wir waren im Garten mit dem Rollator. Heute haben
wir gebadet. Heute haben wir die Haare geschnitten. Und dann kam immer die Antwort mit einem frankierten Umschlag. Dann antwortete ich wieder. Das war eine wunderschöne Begleitung.“
Zeit haben und schenken
Sterbebegleitung bedeutet, einen schwerkranken Menschen über Wochen und Monate, manchmal über Jahre hinweg regelmäßig zu besuchen. Das setzt voraus, dass man die nötige Zeit dafür hat. Die Besuchsintervalle werden individuell zwischen dem Ehrenamtlichen und dem Betroffenen vereinbart. Ehrenamtliche in der Hospizarbeit lenken den Blick auf das „normale“ Leben, kommen von außen, sind unabhängig und stellen somit ein Bindeglied zur Gesellschaft dar. „Man kann sich im Hospiz melden und nach diesem Dienst fragen. Die meisten wissen das nicht.
Und viele haben auch Angst vor dem Hospiz. Aber wenn sie wüssten, dass jemand nach Hause kommt, besucht, spazieren geht
und wir kein Pflegedienst sind, würden sich mehr melden“, ist sich Marion Herrmann sicher. „Wir sind Begleiterinnen, Gesellschafterinnen, die Abwechslung bringen, die für die Seele da sind.“ Die Koordinatoren des ambulanten Hospizdienstes kennen ihre Ehrenamtlichen sehr gut und suchen für jede angefragte Situation wirklich die passende Person. Um dies zu unterstreichen, erzählt sie kurz: „Oma und Opa kamen immer ihre Tochter besuchen und brachten auch die Tochter mit. Während der Besuchszeit sollte die Tochter betreut werden, damit sie nicht im Sterbebett der Mutter lag. Ich war jeden Tag da, um sie zu betreuen, bin manchmal mit ihr spazieren gegangen“.
Das Engagement ist freiwillig, sie können pausieren und selbst entscheiden, wann sie wieder bereit sind, einen Schwerstkranken zu begleiten. Marion Herrmann hat immer kontinuierlich weitergemacht. Nur einmal hat sie eine Pause gebraucht. „Das war nach dieser Patientin, die erst 33 Jahre alt war und eine sechsjährige Tochter hinterließ, wo es auch keinen Vater gab. Und das habe ich mit nach Hause genommen.“
Bereicherung fürs eigene Leben
Hospizarbeit kann bei den Ehrenamtlichen zu Dankbarkeit führen, weil die Sterbenden sie an etwas
sehr Persönlichem teilhaben lassen, an dem wohl intimsten Lebensereignis überhaupt. Dankbarkeit spürt auch Marion Herrmann, man hört es, wenn sie erzählt: „Ich hatte eine Patientin, die hat auf mich gewartet. Das kann man natürlich nie wissen, aber ich stelle es mir vor. Ich habe sie jeden Tag mittags zu Hause besucht. Der Pflegedienst hat mir
gesagt, heute ist es so weit, sie liegt im Sterben. Da bin ich hingegangen, habe ihre Hand genommen und gesagt: „Hier bin ich, Marion“. Es waren die letzten Momente im Leben der Patientin. „Willst du noch einen Stein bemalen, Thalia?“ Die tapfere Fünfjährige will und greift beherzt zu. „Odin war doch noch so klein“, sagt sie. Der Aktionstag ist in vollem Gange: Das stationäre Hospiz „Haus Wegwarte“ hat einen
Infostand, es gibt einen Kuchenbasar, auf der Bühne treten Künstler auf. Der Wünschewagen ist vor Ort und steht für alle Fragen bereit, es wird gegrillt. Und Gastgeber ist das Café Schroeder’s mit
Inhaberin Sandra Behl. Sie eilt von Stand zu Stand und ist dabei, wenn der Hauptpreis der Tombola gezogen wird. Alle Einnahmen des Tages gehen als Spende an das Ruppiner Hospiz.
Viele Ehrenamtliche sind vor Ort, stellvertretend erzählt Marion Herrmann: „Wenn du erst mal eine Begleitung übernommen hast, dann gehst du richtig mit deinem Herzen da rein. Ich frage am Anfang, ob sie sich freuen würden, wenn ich sie besuche. Man darf nicht sagen, ich komme vom Hospiz, dass sie denken, ‚ich muss morgen sterben‘. Dann geht es ums Zuhören, um Ruhe. Stille aushalten. Und darum, ob die Chemie stimmt. Manchmal ist es sehr, sehr innig.“ In ihren 20 Jahren Erfahrung habe sie noch nicht einer gefragt, warum „soll ich gehen, warum denn ich, warum kann das nicht ein anderer haben“? Das gibt ihr
sehr viel Kraft für ihr eigenes Leben. Es gab den Fall, wo der erste Termin chaotisch verlief, der Sterbende konnte nur schwer
sprechen, seine Frau war aufgeregt und brauchte die eigentliche Unterstützung. „Als ich am nächsten Tag wieder zu ihm ging, sagte er: ‚Na meine Kleine, hat dir wohl gestern bei mir gefallen, sonst wärst du heute nicht wiedergekommen. Der war gut gelaunt, und es wurde eine schöne Begleitung“, sagt Marion Herrmann, mit einem Strahlen in den
feuchten Augen: „Jetzt ist bestimmt meine Schminke verwischt, oder?“